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Farbbalken mit Referenzton aufzeichnen: Ist das noch sinnvoll?

Hallo Herr Neudeck,
im professionellen Bereich wird meist vor der eigentlichen Aufzeichnung ein Farbbalken und ein Referenzton aufgenommen. Ich nehme an, dass dies für den Schnitt relevant ist, um die Farben anzupassen. Wie genau geht ein Cutter damit um? Setzt er diesen Farbbalken vor das eigentliche Material in die Timeline und wie stellt er die nachfolgenden Clips (Bild/Ton) darauf ein?

Grundsätzliches

Sowohl die technische Beschaffenheit des Farbbalkens, als auch der Pegel des Referenztons sind genormt. Der Cutter, der ein solches Datenfile bekommt, kann dadurch sehr schnell beurteilen, ob die Wiedergabe des nachfolgenden Filmmaterials korrekt erfolgt. Besonders wichtig war das zu Zeiten analoger Aufzeichnung, da sich kaum vermeidbare Gerätetoleranzen nur auf diese Weise sicher erkennen und ausgleichen ließen.

Bei durchgängig digitaler Aufzeichnung und Wiedergabe sollte das weitgehend überflüssig sein. Und in der Tat ist es so, dass die Pflichtenhefte der Sender heute bei dateibasiertem Programmaustausch keinen technischen Vorspann mehr fordern.

Bei korrekter Systemkonfiguration sollte eine Videodatei in jedem Playout- oder Schnittprogramm mit identischen Signalpegeln wiedergegeben werden, ohne dass ein manueller Eingriff erforderlich ist. In der Praxis ist das jedoch nicht immer der Fall. Ursächlich für falsche Video- oder Audiopegel sind Softwarefehler, Fehler bei der Implementierung des Videocodecs oder Fehler im Codec selbst. Gemeinsam ist ihnen die Eigenschaft, dass sie aufgrund der Vielzahl der möglichen Geräte-/Codec-/Softwarekombinationen schwer vorherzusehen und noch schwieriger zu lokalisieren sind. Bei normalem Bild- und Tonmaterial fallen sie unter Umständen auch kaum ins Auge und wären allenfalls in einem meist nicht praktikablen Direktvergleich zu erkennen.

Immer dann, wenn sich etwas in der Bearbeitungs- oder Wiedergabekette ändert – sei es ein neues Videoformat, eine neue Softwareversion oder eine ganz andere Software  – ist ein Test mit Farbbalken und Pegelton sinnvoll. Dazu muss die die Testsignale enthaltende Datei in derselben Weise durch die Verarbeitungs- oder Wiedergabekette geschleust werden, wie die eigentlichen Videodaten.

Die Praxis bei Audiosignalen
Der tatsächliche Pegel ist gegenüber dem Referenzpegel um 5,1 db zu hoch. [1]
Der tatsächliche Pegel ist gegenüber dem Referenzpegel um 5,1 dB zu hoch.

Für Fernsehanwendungen ist im Einzugsgebiet der EBU [2]  ein Referenzpegel von -18 dbFS [3] bei 1 kHz üblich. Wird der Referenzton wiedergegeben, muss die Pegelanzeige im Schnitt- oder Wiedergabeprogramm genau diesen Wert erreichen. Im Falle einer Abweichung muss deren Höhe ermittelt werden. Der so gewonnene Korrekturwert ist auch für alle folgenden Audio- und Videoaufzeichnungen aus gleicher Quelle gültig und muss auf diese Clips ebenso angewandt werden.

Die Praxis bei Videosignalen

Es gibt zahlreiche Normen für Farbbalken. Deshalb ist es wichtig zu wissen, welcher  tatsächlich aufgezeichnet wurde.  So gibt es zum Beispiel den gebräuchlichen EBU-Farbbalken [4] in verschiedenen Variationen,  die visuell nicht voneinander zu unterscheiden sind, jedoch relevante Pegelunterschiede beinhalten. Darüber hinaus gibt es ihn in einer High-Definition- und  in einer Standard-Definition-Version. Deshalb gehört die genaue Art des aufgezeichneten Testsignals unbedingt mit in die technische Dokumentation einer solchen Testdatei.

So sollte es aussehen: 

EBU-Farbbalken (HD) mit 100% Videopegel und 75% Chromapegel [5]
EBU-Farbbalken (HD) mit 100% Videopegel und 75%

Anzeige des EBU-Farbbalkens in der Oszilloskop- (Waveform-)-Darstellung: Bei einwandfreiem Luminanz- (Helligkeits-) Pegel muss das Bild so aussehen:

EBU (HD)-100/75-Farbalken in korrekter Darstellung auf dem Oszilloskop. [6]
EBU (HD)-100/75-Farbalken in korrekter Darstellung auf dem Oszilloskop.

Insbesondere der weiße Balken (erste Treppe von links) muss bei 100 IRE bzw. 100% Videolevel liegen; der letzte schwarze Balken bei 0 IRE / 0%. Ist das nicht der Fall, muss die Helligkeit korrigiert werden.

Anzeige des EBU-Farbbalkens in der Vektorskop-Darstellung: Bei einwandfreiem Chroma-Pegel muss das Bild so aussehen:

EBU (HD)-100/75-Farbalken in korrekter Darstellung auf dem Vektorskop. [7]
EBU (HD)-100/75-Farbalken in korrekter Darstellung auf dem Vektorskop.

Die Farbvektoren müssen in den jeweils dafür vorgesehenen Kästchen liegen. Stehen sie höher, ist die Farbsättigung zu hoch, liegen sie niedriger, ist die Sättigung zu niedrig. Sind die Endpunkte kreisförmig verschoben, stimmt der Farbton nicht. Liegt der Mittelpunkt des Vektorgramms nicht genau im Zentrum des Fadenkreuzes, ist das Bild farbstichig.

Werden Abweichungen festgestellt, prüfen Sie zunächst, ob Sie beim Datenimport oder den Dateieigenschaften etwas verändern können. Besonders häufig sind Probleme durch eine falsche Interpretation des RGB-Videolevels. Manche Datenformate (z.B. JPG-Standbilder) nutzen den gesamten RGB-Bereich von 0 – 255 voll aus. Die meisten, aber nicht alle Videocodecs arbeiten per Definition nur im Bereich von 16 – 235. Die Vorgehensweise um diese Problematik zu lösen, weicht je nach Software so stark ab, sodass ich an dieser Stelle auf die jeweiligen Betriebshandbücher verweisen muss.

Führen abweichende Importeinstellungen nicht zum Ziel, muss die Korrektur mithilfe der Helligkeits- und Farbkorrektur erfolgen.

Sowohl die Änderung des Importmodus, als auch alle anderen Korrekturen müssen an allen Dateien aus gleicher Quelle ebenso vorgenommen werden.